Aufstieg durch die Wolken

Veröffentlicht am 1. November 2020 • 6 Min. Lesezeit • 1.102 Wörter
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Aufstieg durch die Wolken

Auch wenn diese Geschichte bereits vor einiger Zeit geschrieben wurde, so passen die ruhigen Tage doch ganz gut ein Abenteuer Revue passieren zu lassen.

Normalität

Wir fahren wie immer zur Arbeit. Es ist schön, den Sonnenaufgang dabei zu genießen. In der Mittagspause ist das Wetter immer noch grandios und ich überlege, ob wir das letzte Sonnenwochenende im August nicht nochmal für eine Radtour in den Alpen nutzen sollten. Später im Jahr wird oben auf den Bergen bereits Schnee liegen. Schnell ist eine Rundtour für zwei einhalb Tage geplant. 270 Kilometer und sehr viele Höhenmeter. Ob ich Anne dazu überreden kann?

Ungläubigkeit

Natürlich nicht! Sie kommt Freitag Abend schließlich erst spät aus Wien zurück. Also kurzerhand umgeplant: Wir treffen uns in Österreich. Schnell ist die Unterkunft am Fuße der Glockner Hochalpenstraße gebucht. Ob wir da wirklich hochfahren, steht auf einem anderen Papier. Echte Berge zum Trainieren gibt es im Norden von München nicht. Die höchste Erhebung sind Brücken über die Bundesstraße oder die A9. Ansonsten gibt es noch den etwa 70 Meter hohen Müllberg in Fröttmaning. Für ein echtes Bergtraining reicht das aber natürlich nicht.  Im Zweifel werden wir einfach ein paar Touren im Tal fahren. Die Landschaft ist sowieso gigantisch anzusehen.

Ich mache mich dieses Mal alleine auf den Weg mit dem Auto und den Rädern. Wir sind im Römerhof in Fusch an der Großglocknerstraße untergekommen. Wenn auch schon spät, ist die Aussicht top!

Kurz vor 9 Uhr am Abend kann ich Anne noch vom Bahnhof abholen und wir genießen das Abendessen. Dabei wird natürlich der Wetterbericht studiert. Morgen: Regen… Kein Wetter für irgendwelche heroischen Radtouren. Übermorgen: Auch Regen… aber wahrscheinlich weniger. Es steht also fest, morgen werden wir wandern, Radtouren wird es höchstens am Sonntag geben. Und was wir da dann machen, schauen wir mal.

Am Sonntagmorgen sieht das Wetter nicht besser aus als am verregneten Samstag. Aber: Es regnet (noch) nicht! Wir beschließen kurzerhand es dennoch zu versuchen. Wenn das Wetter nicht mitspielt, werden wir uns einfach wieder umdrehen und zurückrollen. Wir wollen es versuchen: Die Glockner Hochalpenstraße — aus eigener Kraft. Es klingt unrealistisch. Das klang unsere Alpenüberquerung vor dem Aufbruch allerdings auch. Angekommen sind wir dennoch. Trotz Hitze unterwegs, Unwetter und Überschwemmung im Zelt.

Auf geht’s!

Schnell werden also die Räder klar gemacht, die Flaschen befüllt und Regenbekleidung verstaut. Wer weiß, wie das Wetter weiter oben sein wird und ob nicht doch noch ein Wolkenbruch uns überrascht.

Schon die Anfahrt bis zur Mautstation der Glockner Hochalpenstraße ist eine Herausforderung. Zu Beginn noch langsam, später dann mit bis zu neun Prozent Steigung geht es konstant bergauf. Dass es in diesem Streckenabschnitt fast keine Kehren gibt, macht es nicht wirklich einfacher — wohl eher schwerer. Die Straße zieht sich immer mehr oder weniger geradeaus den Berg hinauf. Pausen gibt es nur selten.

Dennoch bietet auch dieser Teil der Strecke bereits tolle Aussichten.

Während wir noch bei regnerischem Wetter gestartet sind und der Himmel sich nur wolkenverhangen gezeigt hat, öffnet sich kurz vor der Mautstation Ferleiten die Wolkendecke und lässt den blauen Himmel durchblicken. Wer denkt, dass die Tour hier beginnt, liegt daneben. Einen anstrengenden Teil des Anstiegs haben wir bereits hinter uns. An der Mautstelle gibt es für Fahrräder eine Zeitnahmeuhr. Die lösen wir natürlich beide aus und setzen damit unsere Tour gen Berg fort. Nachdem wir vorhin die untere Nebelschicht vor der Mautstelle hinter uns gelassen haben, verlassen wir nun die eigentlich angenehme Kulisse mit den Wolkenlücken und fahren weiter — direkt in die Wolken.

Die Straße verläuft nun vermehrt in Kehren. Das hilft nur leider wenig. Die Steigung bleibt. Wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Höhenmeter erreicht und das ganze Vorhaben wird zu einer kräftezehrenden Tortur. 

Zwischendurch müssen Müsliriegel die Stimmung aufrecht erhalten. Mit jeder Kehre in Sichtweite steigt die Hoffnung, dass sich der Nebel lichtet. Nach jeder Kehre erneut die Ernüchterung. Es wird sogar noch feuchter. Auch wenn es nicht regnet, so fühlt es sich doch sehr nass an. Und plötzlich, zwei Stunden nachdem wir die Mautstation passiert haben, kommen wir über die Baumgrenze und bekommen freie Sicht. Und der Himmel unterstreicht das Spektakel.

Von hier sind es nur noch vielleicht 200 Höhenmeter bis zu unserem Ziel, dem Fuscher Törl. Aber gerade diese letzten Meter werden zu einer Tortur.

Immer wieder ziehen Wolken gerade in die Kehren der Straßen und unterstreichen unsere Gedanken: „Nur noch bis zur nächsten Kurve.” Es geht immer weiter durch die Wolken.

Doch dann haben wir das Ziel erreicht.

Vor lauter Anstrengung jetzt nur nicht vergessen, die Zeitnahme von der Mautstation zu stoppen. Dafür nur den Kassenbon in den Automaten schieben und stempeln lassen. Fertig. Was bei mir sofort funktioniert, klappt bei Anne nicht. Der Bon bleibt auf halbem Weg im Automat stecken. Es hilft kein Ziehen oder Zerren. Wir haben es mit allen Mitteln probiert. Der Bon steckt fest. Ohne ihn keine Urkunde. War die ganze Mühe umsonst? Wir werden wohl im Tal nachfragen müssen, ob man uns helfen kann. Im Moment kann ich nur ablenken und auf die Aussicht verweisen.

Nach einer kurzen — und dringend notwendigen — Stärkung geht es also wieder hinab. Das Wetter scheint jetzt nochmal frischer und feuchter zu werden. Für die Abfahrt wechseln wir also zu regen- und windfester Kleidung.

Und damit geht es in weniger als der Hälfte der Zeit, die wir für die Auffahrt gebraucht haben, wieder zurück ins Tal. Fast eine Stunde bergab fahren — oder rollen. Das klingt nach einer Herausforderung für die Bremsen. Aber auch nach sehr viel Spaß!

Der blaue Himmel ist wieder verschwunden und es scheint als würde uns das Tal mit mystischen Nebelwolken und Regen wieder empfangen.

Während uns das Wetter nichts anhaben kann, bremst es etwas den Spaß. Nasse Straßen und steile Abfahrten vertragen sich nicht recht. Die Warnschilder entlang der Straße sind zumindest heute wohl angebracht.

Zurück an der Mautstation versuchen wir nun an unsere Urkunden zu kommen. Das Personal ist jedoch wenig hilfreich. Man erklärt uns nur unhöflich, dass die Zeitnahme nur vor 9 Uhr morgens und nach 16 Uhr nachmittags funktioniert und ohnehin Radfahrer dazwischen nicht erwünscht seien. Leute, ganz ehrlich: Das ist der größte Blödsinn, den ich seit langem gehört habe! Infrastruktur ist für alle da. Und wenn ich in der Natur den Verkehr beschränken möchte, dann doch bitte die motorisierten Teilnehmer, die ohnehin der Umwelt nichts Gutes tun.

Nun gut, wir haben also nur einen Zeitnahmebon. Der scheint seinen Dienst aber getan zu haben. Entgegen der Meinung der Mitarbeiterin spuckt der Computer uns ein Zertifikat aus und wir teilen uns das jetzt einfach. Zusammen gelitten, zusammen geehrt! Zeit für den Abschluss.

Am Ende gibt es nur einen Verlust zu beklagen.