Einsamkeit und Überbevölkerung

Veröffentlicht am 10. Dezember 2019 • 6 Min. Lesezeit • 1.214 Wörter
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Einsamkeit und Überbevölkerung

Gestern Abend habe ich es leider nicht mehr geschafft, euch einen würdigen Bericht zu schreiben. Mehrere Pannen haben mich aufgehalten. Aber von vorne…

Ich habe den Morgen etwas ungewöhnlich gestartet. Kurz nach 7 bin ich eher wenig begeistert aus dem Bett gefallen und habe mich in Schale geworfen. Ich hatte mir fest vorgenommen, hier in den USA auch laufen zu gehen. Nunja, also ab in die Schuhe zu einem Morgenlauf vor dem Frühstück. Auf meinem Weg von und zu den Indian Canyons habe ich das lokale Wohnviertel bereits gesehen und es als Luxuslaufgebiet auserkoren. Auf geht es also von Villa zu Villa.

Etwas ungewohnt ist die Streckenführung. 3km geradeaus, dann U-Turn und 3km zurück. Reichlich amerikanisch. Was mir erst als völlig bescheuerte Idee vorkam, entpuppte sich als Highlight. Das Treffen von lokalen fellow runners und den Sportsgeist untereinander ersetzt so schnell nichts. Da bräuchte es kein Wort Englisch und trotzdem versteht man sich sofort. 💪👍😁

Für heute ist ein Standortwechsel angesagt. Nach einer Dusche und Frühstück bei dem bereits bekannten Ruby’s Diner geht es weiter nach Los Angeles. Aber nicht ohne Umweg ;-)

Es geht eine Stunde lang auf dem Freeway durch die Wüste. Hier ist jetzt keine Oase mehr in der Nähe und die Colorado Desert wird ihrem Namen gerecht. Einfach nichts außer Steine, Sand, Felsen und Sonne. Entlang der Straße raten Schilder dazu die Klimaanlage des Autos auszuschalten um ein Überhitzen des Motors zu vermeiden. Ich lasse sie trotzdem an.

Man könnte stundenlang hier entlang fahren - fast immer geradeaus. Mein Ziel ist aber nochmal der Joshua Tree Nationalpark. Dieses Mal von der anderen Seite, um ihn heute komplett zu durchqueren.

Wie bereits angekündigt, starte ich hierfür in der Colorado Desert. Kommen wir also zu Panne #1: Vorbereitung ist alles denkt man sich und räumt noch schnell am Parkplatz die Kamera frei, um neue Videos machen zu können. Memo fürs nächste Mal: erst sichern, dann löschen. (Mal schauen ob ich die 5 Videos noch retten kann…)

Auf dieser Seite des Parks gibt es keine Joshua Trees. Dafür eine Mondlandschaft, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. An ausgewählten Parkplätzen kann man sich fürs Backcountry Camping registrieren. Mir erscheint das aberwitzig. Hier ist kein Baum, kein Wasser, keine Früchte, nicht mal ein Grashalm. Aber man soll hier campen wollen?

Die Hälfte des Parks ist eine Wildness Zone, die ohne spezielle Genehmigung nicht mehr zugänglich ist. Also eine komplett menschenleere Gegend.

Wenig später entdecke ich den Kaktus Garten. Immer noch keine Joshua Trees dafür eine weiter völlig verrückte und surreale Landschaft.

Von hier an verändert die Gegend sich laufend. Nicht viel aber stetig. Fast so wie bei Minimal Music. Wem das nichts sagt, sei an Ravels Bolero erinnert. Der macht das Prinzip bereits gut vor.

Die bisherige Steinwüste wechselt mittlerweile zu großen abgerundeten Felsen.

In der Übergangszone mischen sich Colorado und Mojave Desert. Bald darauf sind keine Kakteen mehr zu sehen. Dafür ein regelrechter Wald von Joshua Trees.

Bei einem der vielen Stops treffe ich auf einen Rennradfahrer aus Massachusetts. Er macht sich gerade fertig für die Fahrt zu Keys View. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt, dass er wegen schlechten Wetters die fast 3000 Meilen (ca. 4500km) von Massachusetts bis hierher gekommen ist, um weiter trainieren zu können. Ich rechne kurz nach. Wenn ich von München aus eine ähnliche Anfahrt in Kauf nehme, komme ich bis nach Teheran im Iran oder Kairo in Ägypten. Das nenne ich mal Einsatz und Leben fürs Training. Hut ab! Dass es jetzt hier im sonnenverwöhnten Kalifornien regnet, ist auch für ihn nicht nachvollziehbar.

Ich mache mich inzwischen weiter. Bis zum Parkausgang ist es noch eine halbe Stunde und danach noch ca. 2 weitere nach LA.

Kaum auf dem Freeway in Richtung LA verschwindet die Sonne und ein Unwetter mit Starkregen und heftigem Wind setzt ein. Die Straßen sind hierfür nicht ausgelegt. Immer wieder stehen Schilder am Rand, die warnen, dass die Straßen überflutungsgefährdet sind. Erst als ich die Metropolregion erreiche, klart der Himmel wieder auf. Dafür verdichtet sich der Verkehr und die Straßenführung wird zum Knobelspiel. Ich bin ja aus München mittlerweile einiges gewöhnt und meine Ruhe geht auf deutschen Straßen nicht so schnell verloren. Hier ist es aber hart an der Grenze. Während es quasi nie zum Stillstand oder gar Stau kommt, sind alle 8 Spuren mittlerweile gut gefüllt. Wer sich zu spät einsortiert, hat keine Wahl als mehrere Meilen auf der falschen Autobahn zu reisen. Einen Eindruck wie eine Kreuzung dann aussieht seht ihr hier.

Obwohl das Foto aus LA ist, weiß ich ehrlich nicht, ob ich genau diese Kreuzung passiert habe. So ähnlich sah das bei mir aber auf jeden Fall aus — nur eben nachts im Dunkeln. Es wird also Zeit für Panne #2: Natürlich wird man bei diesen Wegen ungweigerlich einmal die falsche Ausfahrt erwischen. Zumindest habe ich das geschafft. Und zwar beim vorletzten Abbiegen vor der Rückgabestation des Autoverleihs. Die Ehrenrunde rund um den Flughafen hat mich in dem Monsterverkehr über eine halbe Stunde Zeit gekostet. Ein Glück, dass ich fast anderthalb Stunden Puffer für die Rückgabe eingeplant hatte.

Viel später als erwartet aber ohne weitere Vorkommnisse bin ich mein Auto also wieder los und will mir den Weg zu meinem Hotel für die Konferenz bahnen. Da die Amis öffentliche Verkehrsmittel nicht gerade erfunden haben, gibt es am Flughafen auch quasi keine. Daher war für mich gleich klar. Diese Fahrt darf ein Taxi erledigen. Wer mit der Zeit geht, hat sicher schon von Uber und lyft gehört. Zwei Apps um Taxis mit dem Handy zu bestellen. Bisher war mir nicht klar, wofür das gut sein soll, aber ausprobieren wollte ich es dann doch. Also habe ich mir bei Uber ein Taxi bestellt. Wunderbar, der Fahrer ist in 5 Minuten da.

Aller guten Pannen sind ja bekanntlich #3: Nach 30 Minuten habe ich es aufgegeben auf den Fahrer zu warten und habe die Fahrt in der App storniert. Gut. Wie komme ich nun zum Hotel? Keine Ahnung, probieren wir es halt nochmal — vielleicht bekomme ich ja dieses Mal einen zuverlässigeren Fahrer zu gewiesen.

So war es auch. Und nach weiteren 30 Minuten hat mich Nicole erfolgreich durch den Großstadtdschungel zum Hotel gelotst. Aus meiner planmäßigen Ankunft gegen halb 8 ist nun halb 9 geworden. Letzter Programmpunkt im Plan für heute: Abendessen.

Das Hotel beherbegt mehrere Restaurants. Auf meinem Zimmer findet sich eine Speisekarte. Ravioli für 42$ (38€). Das ist ja noch schlimmer als in Kopenhagen?! Es hilft also alles nichts. Schuhe nochmal anziehen und zu Fuß in Downtown LA Essen jagen gehen. Streetfood, Fast Food oder Straßencafes scheint es hier in der Gegend nicht zu geben. Lediglich Haute Cuisine, Fusion Kitchen und diverse Sterneköche. Ich will doch nur kurz und schnell eine Kleinigkeit zu essen haben. Kein Gala-Menü… Der Supermarkt bietet mit fertiger Pizza und einer Tüte Chips wohl die letzte Rettung für heute. Morgen muss ich das besser organisieren — hoffentlich mit weniger Pannen im Anlauf.

Am Ende des Tages mit Blick aus dem Zimmer im 22. Stockwerk bleibt jetzt nur noch die Frage. Wer ist einsamer? Zwei Gleichgesinnte unterschiedlichster Herkunft, die sich in der Wüste treffen und sich sofort verstehen, oder fast 12 Millionen Menschen, die einmal im Leben in der gleichen Stadt aneinander vorbeilaufen, sich nicht zur Kenntniss nehmen, und sich vermutlich nie wieder begegnen werden…